Auch im Jahr 2019 hat der Gewerbeverein Lahnau e. V. zu seinem Neujahrsempfang eingeladen. Rund 50 Gäste waren der Einladung gefolgt und füllten den Saal im Bürgerhaus Atzbach.
Der erste Vorsitzende Willi Drescher begrüßte die Mitglieder und die Gäste aus der Politik und gab einen kurzen Ausblick auf das Thema des Neujahrsempfangs: den Fachkräftemangel. "Wenn die katholische Kirche schon mit eigenen Videoclips um Priesternachwuchs wirbt, wird deutlich, dass der Fachkräftemangel längst über das Handwerk hinausgeht und ein gesamtgesellschaftliches Problem ist", deutete Willi Drescher in seiner Begrüßung an.
Auch die Bürgermeisterin Silvia Wrenger-Knispel und der Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer bezogen sich in ihrer Begrüßung auf dieses dringliche Thema. Irmer sprach sich sehr für die Meisterpflicht aus und warnte, dass im vorliegenden Zuwanderungsgesetzt die langfristige Sicht zu kurz komme. Gut ausgebildetes Personal sei wichtig und man dürfe die gesamte quantitative Situation nicht vernachlässigen, vor allem, wenn Fachkräfte aus den Regionen weg und in die Ballungszentren abwandern.
Bevor der Hauptteil der Veranstaltung begann, sorgte Burkhard Ott wie bereits im letzten Jahr für die notwendige Portion Fröhlichkeit und Heiterkeit. Der Atzbacher Musiker ist bekannt von der Gruppe "Kork" und lud mit Gesang und Gitarre die Gäste zum Mitsingen ein. Aus dem Dorfleben gegriffen erkannte sich manch einer wieder bei Liedern wie, "Samstochs werd die Struas gekiert".
Henry Koch, Vorstand der Volksbank Heuchelheim, stimmte anschließend die Gäste mit dem Hinweis, dass es durchschnittlich 186 Tage dauert, bis ein Klempner eine Lehrstelle besetzt hätte, auf das Thema "Fachkräftemangel" und die Podiumsdiskussion ein. Als Moderator begrüßte er die Teilnehmer einzeln und startete direkt in die Diskussion mit einer Meinungsumfrage und persönlichen Erfahrungen zu diesem Thema.
Kreishandwerksmeister Ralf Jeschke berichtete, dass der Fachkräftemangel im Lahn-Dill-Kreis greifbar ist. Die duale Ausbildung im Handwerk ist in Deutschland einzigartig und auch das Meisterhandwerk dürfe nicht abgeschafft werden. Christian Bernhard von der Industrie- und Handwerkskammer Lahn-Dill berichtete vom Konjunkturbericht, in dem die Unternehmen jährlich um eine Risikobewertung gebeten werden. Wurde das Risiko des Fachkräftemangels im Jahr 2015 von 30% benannt, so seien es doch im letzten Jahr bereits 68%, im Baugewerbe sogar 100%. Das seien alarmierende Werte, Fachkräfte und Meister würden gesucht.
Michael Beck von der Agentur für Arbeit betonte, dass sich Schule an sich verändert hätte, ebenso wie das Verhalten der Eltern und der Kinder. Dies hätte eine andere Qualität als noch vor 20 Jahren. Gleichzeitig seien Ausbildungsgänge komplexer geworden. Die Ansprüche von Eltern seien sehr hoch, viele streben für ihren Nachwuchs einen höheren Bildungsgang an.
Diesen Trend zu weiterführenden Schulen bestätigte auch die Schulleiterin der Lahntalschule Atzbach Evelin Hedrich. Der Trend ginge im Lahn-Dill-Kreis insgesamt zum Abitur, von 130 Schülern eines Jahrgangs auf der Lahntalschule sind 20-25 Schüler Hauptschüler. Viele Angebote würden helfen, den Schülern eine Orientierung zu geben, wie beispielsweise die Berufsbildungsmesse, die alle 2 Jahre stattfindet. Doch leider würde der Großteil der Eltern hierfür wenig Interesse zeigen - sie würde sich wünschen, dass auch die Eltern Kontakt zu den Unternehmen knüpfen würden, um Möglichkeiten zu erkennen.
Der Grundsatz "Karriere über Lehre" werde heute nicht mehr gelebt, darüber waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Es gibt 130 Ausbildungsberufe im Handwerk im Lahn-Dill-Kreis, die Vielfalt ist groß. Doch bekannt sind nur wenige. Ansatzpunkte zur Verbesserung des Fachkräftemangels seien frühe Aufklärungen der Eltern und auch die Schulung praktischer Fertigkeiten in der Schule. Talente müssten erkannt und gefördert werden, die Schüler sollten dazu Gelegenheit erhalten und sich orientieren können. Dies sei möglich durch Praktika in Unternehmen oder praktischen und vernetzten Angeboten seitens der Teilnehmer, wie Handwerkskammer, Industrie- und Handelskammer, Agentur für Arbeit und den Schulen. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Henry Koch betonte, dass die Unternehmen heute regelrecht künftige Auszubildende umwerben und mit Lockangeboten binden möchten. Da wird schon einmal ein IPad verschenkt, oder die Busfahrkarte bezahlt. Doch Kritikpunkte gäbe es auch. So ließen viele Unternehmen nichts von sich hören, wenn sich Schüler um einen Ausbildungsplatz bewerben. Der Schüler verlöre dadurch die Motivation, hier sollte an Professionalität und der Kommunikation gearbeitet werden.
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion gab es noch Gelegenheit für Fragen, welche die Diskussionsteilnehmer auf der Bühne beantworteten.
Willi Drescher bedankte sich nach der interessanten Diskussion bei den Teilnehmern und vor allem bei dem Moderator Henry Koch, der kurzweilig und informativ die Diskussionsrunde geleitet hatte. Anschließend gab es genügend Zeit um sich auszutauschen und Fragen zu stellen - gegenüber den Rednern als auch den Lahnauer Fraktionen , die ebenfalls der Einladung des Gewerbevereins gefolgt waren. Auch im nächsten Jahr wird der Neujahrsempfang wieder ein Treffpunkt für Politik und Wirtschaft werden, da sind sich die Veranstalter sicher.
Vielen Dank für die Bilder an Yvonne Röder!